Ein Fabeldichter aus Hainichen

Wenn wir in Hainichen über den Marktplatz fahren, fällt uns mitten auf dem Markt ein schön gestaltetes Denkmal auf. Wir steigen aus dem Auto und lesen: Christian Fürchtegott Gellert. Nach ihm nennt sich die Stadt am Fuße des Erzgebirges heute noch „Gellertstadt“.
In der „Geschichte der deutschen Nationalliteratur“ von 1873 finden wir zu Gellerts Dramen: „... der Stoff kann nur ärmlich, und die Ausführung dürftig genannt werden; es ist eine nicht im besten Sinne hausbackene Bürgerlichkeit, die uns ... mit der äußersten Langweiligkeit angähnt.“ Seine Romane werden dann noch als unerträglich, die Fabeln als geschwätzig und platt und seine Kirchenlieder als dozierend und zurechtweisend bezeichnet. Man könnte meinen, wir stellen hier einen Mann vor, dem auf Grund seiner Unfähigkeit schon zu Lebzeiten niemand zuhören wollte. Fast unvorstellbar scheint es, daß Gellert als erstem deutschen Dichter überhaupt breite Anerkennung im Ausland zuteil wurde, daß er für mehrere Jahrzehnte das literarische Leben Deutschlands beherrschte und daß er in der Popularität selbst Goethe und Schiller für längere Zeit ins zweite Glied verwies. Doch dem ist so.
Christian Fürchtegott Gellert wird am 4. Juli 1715 zu Hainichen als eines von dreizehn Kindern geboren. Sein Vater, zweiter Prediger in Hainichen, schickt seinen Sohn trotz ärmlicher Verhältnisse auf die bekannte Fürstenschule St. Afra in Meißen. Dort trifft er auf Gärtner und Rabener, mit denen ihn bald enge Freundschaft verbindet. Beide begleiten ihn auch 1734 zu seinem Theologiestudium nach Leipzig. Als der Vater das Studiengeld nicht weiter aufbringen kann, finanziert Gellert sein Studium selbst durch die Erteilung von Privatstunden und Betreuung junger Adeliger.
Leipzig ist zu dieser Zeit literarisches Zentrum Deutschlands. Auch Gottlieb Fuchs, sein späterer Biograph Johann Andreas Cramer sowie die Brüder Johann Elias Schlegel und Johann Adolf Schlegel stehen für das Leipzig dieser Zeit. Gemeinsam veröffentlicht man in den „Belustigungen des Verstandes und des Witzes“ und den „Neuen Beyträgen zum Vergnügen des Verstandes und des Witzes“, den sogenannten „Bremer Beiträgen“. Zwischen 1740 und 1751 erscheinen seine Fabeln, Romane, eine Lustspielsammlung sowie Briefe. Später folgen dann moralische Gedichte und geistliche Lieder. Besonders die Fabeln und die geistlichen Lieder begründen damals seinen Ruf. Auch über ihn selbst erscheint eine Fabel, verfaßt vom ebenfalls bei mir vorgestellten Johann Adolph Schlegel.
Bereits 1751 beruft man Gellert zum außerordentlichen Professor für Moral und Beredsamkeit an der Leipziger Universität. Nicht seine akademischen Leistungen, sondern sein Ruhm als Fabeldichter und Volksaufklärer ist Ursache dieser Entwicklung. Im siebenjährigen Krieg – Leipzig ist zeitweise von preußischen Truppen besetzt, gleicht sein Hörsaal häufig dem Vorzimmer eines kommandierenden Generals. Oft sieht man Hunderte Offiziere, die ihm andächtig zuhören. Vom Prinzen Heinrich von Preußen erhält er dessen Leibpferd als Geschenk, Friedrich der Große lädt ihn zur Tafel. Große Werke von ihm erscheinen indes nicht mehr. Die Freunde hat es in alle Ecken Deutschlands geweht, seine Gesundheit ist mehr schlecht als recht, und ihm fehlt auch die Motivation. Zudem kann er neueren literarischen Entwicklungen nichts mehr abgewinnen. Ruhm macht blind. Sein Tod in Leipzig am 13. Dezember 1769 wird zum Anlaß einer ganz neuen Form der Verehrung: der Rat der Stadt Leipzig muß den Johannisfriedhof sperren lassen, weil Menschenmassen in bisher ungekanntem Ausmaß zum Grab des Verstorbenen pilgern und die Gräber zertrampeln. Zudem beginnen sie seinen Grabhügel abzutragen – ein Mitbringsel als Andenken.
Lauschen wir noch den Worten Goethes, von der Aufnahme redend, die er selbst als Student bei Gellert gefunden hat: „Die Verehrung und Liebe, welche Gellert von allen jungen Leuten genoß, war außerordentlich. Ich hatte ihn gleich nach meiner Ankunft besucht, und war freundlich von ihm aufgenommen worden...“.
Wenn wir uns heute fragen, weshalb dieser Mann so in Vergessenheit geraten konnte, gibt eine biographische Skizze des Jahres 1840 vielleicht die Antwort: „Und Verehrung wird ihm die Menschheit zollen, so lange Menschen Religion und Tugend lieben ...“.

Eine kleine Kostprobe aus Gellerts Fabeln

Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769)

Ausgerechnet die Fabel „Der Maler“ trug Gellert im Dezember 1760 König Friedrich II. von Preußen vor, wohl wissend, daß dieser selbst komponierte (über 120 Stücke sind heute noch erhalten) und dichtete ...

Der Maler

Ein kluger Maler in Athen,
Der minder, weil man ihn bezahlte,
Als, weil er Ehre suchte, malte,
Ließ einen Kenner einst den Mars im Bilde sehn
Und bat sich seine Meinung aus.
Der Kenner sagt ihm frei heraus,
Daß ihm das Bild nicht ganz gefallen wollte,
Und daß es, um recht schön zu sein,
Weit minder Kunst verraten sollte.
Der Maler wandte vieles ein:
Der Kenner stritt mit ihm aus Gründen
Und konnt’ ihn doch nicht überwinden.

Gleich trat ein junger Geck herein
Und nahm das Bild in Augenschein.
„Oh!“ rief er bei dem ersten Blicke:
„Ihr Götter, welch ein Meisterstücke!
Ach welcher Fuß! O wie geschickt
Sind nicht die Nägel ausgedrückt!
Mars lebt durchaus in diesem Bilde.
Wie viele Kunst, wie viele Pracht,
Ist in dem Helm und in dem Schilde
Und in der Rüstung angebracht!“

Der Maler ward beschämt gerühret
Und sah den Kenner kläglich an.
„Nun“, sprach er, „bin ich überführet!
Ihr habt mir nicht zuviel getan.“
Der junge Geck war kaum hinaus,
So strich er seinen Kriegsgott aus.

Gellert trug die Fabel bis hierhin vor, der König lächelte wohlwollend und wollte nun auch noch die "Moral" der Fabel hören. Dort wird dann deutlich, dass es eben nicht um einen "Maler in Athen", sondern um einen "König in Berlin" ging, der nicht malte, sondern dichtete:

Wenn Deine Schrift dem Kenner nicht gefällt,
So ist es schon ein böses Zeichen;
Doch, wenn sie gar des Narren Lob erhält,
So ist es Zeit, sie auszustreichen.

Eine Empfehlung für den König - je lauter der Chor der einfältigen Schmeichler das eigene Werk lobt, desto nachdenklicher sollte das den Herrscher machen. Sich selbst loben fällt indes auch für einen Herrscher aus, und auch dazu gibt es eine Fabel unter dem Titel "Die eitle Nachtigall", in dem Fall ist es eine Fabel über Gellert selbst. Sie beginnt mit den Worten:

So hoch die Ruhmbegier erhebet,
Die die Natur den edlen Geistern gab,
Und die nach andrer Lob nur durch Verdienste strebet:
So tief setzt uns das Eigenlob herab.

Ein mehr als 250 Jahre alter Appell an die Zurückhaltung, wenn es um die Beurteilung eigener Leistungen geht ... Lassen wir Gellert noch einmal mit dem "Glücklichen Dichter" zu Wort kommen:

Der glückliche Dichter

Ein Dichter, der bei Hofe war -
Bei Hofe? Was? Bei Hofe gar?
Wie kam er denn zu dieser Ehre?
Ich wüßte nicht, was ein Poet,
ein Mensch, der nichts vom Recht und nichts vom Staat versteht,
Was der bei Hofe nötig wäre?

Doch auf die Sache selbst zu kommen.
Ein Dichter, den der Hof in seine Gunst genommen,
Schlief einst bei Tag im Louvre ein. -
Wieso? War er berauscht? Das kann wohl möglich sein.
Man hat in Frankreich guten Wein.
Und Dichter sollen insgemein
Von Wahrheit, Liebe, Witz und Wein
Sehr gute Freund und Kenner sein.
Ich mag die Welt nicht Lügen strafen,
Drum sag ich weder ja noch nein.
So, der Poet war eingeschlafen,
Und war nicht schön, daß man wohl schauen muß;
Doch gab die Königin, den Schlaf ihm zu versüßen,
Ihm im Vorbeigehn einen Kuß.
„Was“, rief ein Prinz, „den blassen Mund zu küssen?“
„Blaß“, sprach die Königin, „blaß ist er, das ist wahr;
Doch sagt der Mann mit seinem blassen Munde
Mehr Schönes oft in einer Stunde
Als Sie, mein Prinz, im ganzen Jahr.“