Ein Großenhainer Justizangestellter

„Als Großvater die Großmutter nahm,
da war es ein Biedermann, den sie bekam;
Ein Handschlag zu jener hochrühmlichen Zeit
galt mehr als im heutigen Leben ein Eid.“

Die sächsische Provinz, abseits der Metropolen Leipzig und Dresden, schickte immer wieder viele ihrer Söhne - und zunehmend auch ihrer Töchter - in die Welt. Wurden diese in den vergangenen Jahrhunderten dann draußen oft Schriftsteller, Künstler, Bankiers, Wissenschaftler oder auch Militärs, so gelangen in unserer Zeit ebenfalls Sportler zu Ruhm. Die meisten, die einst auszogen und die Welt eroberten, sind heute in Vergessenheit geraten. Manchmal bleibt indessen etwas von ihnen im Volksgedächtnis haften, selbst wenn man ihren Namen vergaß.
Spricht heute einmal jemand von vergangenen Zeiten, dann fällt gelegentlich die Redewendung „Als Großvater die Großmutter nahm“. Der Schöpfer dieses geflügelten Wortes stammt aus Radeberg und verbrachte beruflich vier Jahre in Großenhain: August Friedrich Ernst Langbein.
Dieser Sohn eines Justizamtmannes soll auf Wunsch der Familie dem Vater nacheifern. Geboren 1757, kommt er 1772 auf die Landesschule St. Afra in Meißen und studiert danach von 1777 - 1780 in Leipzig Jura. Freilich hat er nebenbei Gefallen an der Dichtkunst gefunden. Mehrere seiner Arbeiten finden schnell Eingang in geachtete literarische Zeitschriften. Trotzdem nimmt er 1780 brav die Stelle eines Vize-Aktuars am Amtsgericht in Großenhain an. In der Praxis bekommt er bald mit, daß es mit den Umständen der Gerechtigkeitsfindung so eine Sache ist und die Lücken im Gesetz von ellenbogenstarken Leuten recht ungeniert ausgenutzt werden.
Nach vier Jahren meint er, sich nun die Finger genug wundgeschrieben zu haben, wechselt auf die andere Seite der Gerechtigkeitsfindung und läßt sich in Dresden als Anwalt nieder. Doch er erweist sich dabei mehr als guter Mensch, denn als an das Verdienen denkender Anwalt - er steht den Armen bei. Es kommt natürlich, wie es kommen muß: er selbst wird ärmer dabei.
Zwei Jahre später - 1786 - tritt er eine festbesoldete und dennoch wenig einträgliche Stelle als Kanzlist im Geheim-Archiv in Dresden an. Seine literarischen Arbeiten vernachlässigt er darüber nicht. Unter demütigenden Attacken seiner Vorgesetzten leidet er 14 Jahre lang und hofft Jahr um Jahr auf Beförderung. Im Jahr 1800 hat er endgültig die Nase voll. Er setzt sich nach Berlin ab. Nicht allein, sondern zusammen mit der Tochter eines Tharandter Lohgerbermeisters. Diese scheint „eine heitere, liebevolle Natur gewesen zu sein“, wie ein Chronist berichtet.
Als dann Napoleon über Deutschland herzieht, gerät alles durcheinander. Arbeitsstellen werden knapp und Bücher kann sich kaum jemand leisten. Schlechte Zeiten für Schriftsteller, die vor allem für das einfache Volk schreiben. So schlagen sich die Langbeins mühsam durchs Leben. Und als wieder bessere Zeiten anbrechen und Langbein zu einem König der Leihbibliotheken aufsteigt, verdienen daran hauptsächlich die Verleger. Er ist inzwischen so populär, daß mehrere andere Autoren ihre eigenen Erzeugnisse unter dem Namen „Langbein“ veröffentlichen, indem sie seine Vornamen oder deren Kürzel nur leicht ändern.
Bald nimmt Langbein eine Stelle als Zensor an - zunächst ohne Lohn. Auch später bekommt er nur eine geringe Dotation dafür. Alle Welt lobt dabei seine „Gewissenhaftigkeit“ und attestiert ihm „höchst ehrenwert gehandelt zu haben“, wohl deshalb, weil er seine eigenen Arbeiten, wenn er sie der Jugend nicht zuzumuten wagt, aus den Katalogen der Leihbibliotheken streicht.
Erst drei Jahre vor seinem Tod erhält er vom preußischen Staat eine Ehrenpension. Um ihn zu kennzeichnen, einige Zitate aus seiner Zeit: „...Es ist nichts Rücksichtslos-Hartes in Langbein; er macht sich nicht energisch geltend; er ist liebenswürdig, höflich und bescheiden; im Alter nicht ohne Ängstlichkeit und Gedrücktheit; ohne Genialität, aber mit gutem Herzen und tüchtiger Gesinnung...“. Am 2.1.1835 stirbt August Friedrich Ernst Langbein in Berlin in seinem 78. Lebensjahr.
Viele seiner literarischen Arbeiten spielen im Gerichtsmilieu, sowie unter Bösewichtern, Gaunern und Geschäftemachern. Seine Erfahrung am Großenhainer Gericht werden ihm zu Gute gekommen sein. Wie wohl fast alle Menschen zu allen Zeiten, so dürfte auch Langbein die Zeit seiner Großeltern für „die gute alte Zeit“ gehalten haben. Einer seiner literarischen Figuren riet er, sich auf den Grabstein setzen zu lassen (und dachte da wohl an sich selbst):
„Ich schrieb manch fröhliches Gedicht,
doch frohe Tage kannt ich nicht.
Drumm liess' ich mir auf meinen Grabstein ätzen:
Hier ruht ein Mann, der andern Freude brachte.“