Eine Entführung im Jahre 1523

Für alle Leser, die Ende Februar 2017 den neuen Film über die Lutherin sahen:

Es flohen damals nur neun Nonnen (da ist Katharina schon mit dabei), sie fuhren von Nimbschen nach Torgau und erst von dort nach Wittenberg, und Nachstellungen des katholischen Herzog Georg hatten sie auch nicht zu befürchten, denn Nimbschen lag im Machtbereich des Kurfürsten (und eben nicht auf herzoglichem Gebiet), und Friedrich der Weise ließ keine entflohenen Mönche und Nonnen verfolgen. Martin Luther trug 1523 ganz sicher kein wallendes Haar, sondern er war bis Oktober 1524 noch Mönch im gezeigten "Schwarzen Kloster" zu Wittenberg. Nicht einmal der gezeigte Fisch vor der Nonnenflucht stimmte, denn der Entführer der Nonnen, Leonhard Koppe, handelte nicht mit den im Film gezeigten Forellen, sondern mit Heringen. Alles nicht von mir, sondern von fast unzähligen Wissenschaftlern erforscht und veröffentlicht. Aber nun zu Katharina ...


Im Jahre 1861 verfaßte der Grimmaer Ortschronist Christian Gottlob Lorenz für die Zeitschrift „Sachsengrün“ einen kleinen Beitrag unter dem Titel „Einige Bemerkungen über das Kloster Nimtschen bei Grimma und über Katharina von Bora“. Nachfolgend wollen wir uns in einem Auszug einmal genauer der Entführung der Nimbschener Nonnen aus der Sicht des Magister Lorenz widmen. Lassen wir ihn also selbst zu Wort kommen.
„Wenn wir nun den ebenerwähnten (im Originalbeitrag, d.R.) Verkehr Koppe’s mit dem hiesigen Kloster kennen und die Angabe einer Torgauischen Chronik hinzunehmen, daß die Nonnen von ihm fortgefahren worden seien, „gleich ob führe er ledige Heringstonnen“, und in einer anderen Torgauischen Chronik ... bemerkt finden, daß diese Entführung von ihm mit besonderer Klugheit und List bewerkstelligt worden sein (...), dürfen wir wohl, da wir keine weiteren Nachrichten über die Art der Flucht finden, auf Grund jener Andeutung eine Vermutung über den Hergang derselben wagen, wäre es auch nur, um dadurch eine scharfsinnigere anzuregen.
Wir dürfen voraussetzen, daß Tag und Stunde der Ankunft Koppe’s den Nonnen bekannt war. Die Verabredung wird wohl der Freund Luther’s, Wolfgang von Zeschau, vermittelt haben, der ebenfalls aus dem Augustinerkloster zu Grimma ausgetreten und damals Spitalmeister in dem Johanniterhospital (nicht zu St. Georgen) in Grimma war, was um so wahrscheinlicher ist, da unter den flüchtigen Nonnen zwei Muhmen desselben sich befanden.
Vermutlich kam nun Koppe in Begleitung der zwei oben genannten jüngeren Männer am späten Abend des 4. April, am Sonnabend vor dem ersten Osterfeiertage, mit einem „bedeckten Wagen“ (wie ihn die Torgauische Chronik nennt, d.h. mit einem mit einer Plane überdeckten Rüstwagen) vor das Kloster gefahren und gab an, daß er bei Gelegenheit einer leeren Rückfahrt leere Tonnen von sich nach Torgau mit zurücknehmen wolle. Ohnstreitig wurde der Vorabend dieses hohen Festes mit Absicht gewählt, weil man an demselben im Kloster mit Vorbereitungen für dasselbe ungewöhnlich beschäftigt war.
Man öffnete arglos dem bekannten Manne den Torweg. Koppe, der sich seinen Plan für alle Fälle wohl ausgedacht hatte, wußte den Pförtner vom Tore zu entfernen und ihn zu beschäftigen, indem er ihn ersuchte, die Herbeischaffung der Tonnen zu veranlassen und dabei behilflich zu sein. Sobald er so den vorderen Teil des Hofes unbewacht sah, gab er den lauschenden Nonnen das verabredete Zeichen, und diese eilten, wohl wissend, auf welchem Wege sie am sichersten in den Hof gelangen konnten, hinunter und zur Pforte hinaus in der Richtung nach Grimma, von den beiden Freunden Koppe’s begleitet.
Nachdem Koppe die Tonnen aufgeladen hatte, fuhr er hinterher, und als er die Nonnen einholte, stiegen sie auf den Wagen, auf dem die Tonnen lagen, und fuhren in derselben Nacht mit ihren Begleitern nach Torgau. Als man die Nonnen im Kloster vermißte, wird man ihre Spur auf jedem anderen Wege gesucht haben, als auf dem nach Torgau; denn dass Koppe sie entführt habe, ahnte man nicht; dies wurde erst von Torgau aus bekannt.
Auf diesen Hergang scheint der Vergleich mit den Heringstonnen, der sonst wenig Geschick hat, hinzuweisen. Eine Flucht in der Stille der Nacht, wo Alles im Kloster verschlossen war, vermittelst einiger von Koppe mitgebrachter Leitern, konnte bei der ziemlichen Anzahl der Personen schwerlich ohne Geräusch und ohne andere leicht bemerkbare Umstände vor sich gehen und hätte leicht vereitelt werden können. Auch müßte dann Klugheit und List, die nur dem Anschlage Koppe’s beigelegt wird, in noch höherem Grade den Nonnen zugeschrieben werden. Endlich sieht man bei einer nächtlichen Entweichung nicht ein, wie man auf den Vergleich mit den Heringstonnen kommen konnte.
Übrigens waren es neun Nonnen, welche damals mit Koppe aus Nimtschen flohen; drei andere aber folgten ihnen bald nach, ohne daß wir die näheren Umstände kennen, unter welchen sie entkamen. Daß eine zweimalige Flucht von Nonnen stattfand, deutet uns eine Äußerung des Klostervorstehers Gangolff von Heilingen in einem Schreiben an die Sequestratoren vom Sonntag nach Galli 1538 (im Weimar’schen Archiv) an, in dem dieser auf die Frage der Sequestratoren, wie lange Ave Groffin im Kloster Nimtschen gewesen u.s.w. unter Anderem antwortet, er habe durch fleißige Erkundigung bei den Jungfrauen, die noch vorhanden, erfahren, sie sei „von kindauff im Kloster erzogen - und mit den e r s t e n neun iunckfrauen hinaus kommen.“
Wer wissen möchte, auf welche Urkunden und Fakten sich die Theorie des Grimmaer Chronisten stützt, dem sei die komplette Arbeit des Magister Lorenz zu diesem Thema empfohlen - erhältlich als Reprint bei mir.