Das entzauberte Paradies - der Romantik-Park zu Machern



Diese Frage beschäftigt Romantiker, Chronisten, Heimatfreunde wie Fremde wohl seit über 200 Jahren: Warum lässt jemand – Graf Carl Heinrich August von Lindenau – in jahrzehntelanger mühevoller Arbeit mit viel finanziellem Aufwand und noch mehr Liebe zum Detail einen Park wie Machern planen, pflanzen und bauen, um ihn ganz kurz nach seiner Fertigstellung gemeinsam mit dem teilweise ebenfalls umgestalteten Schloss zu verkaufen? Diese Frage ist auf den ersten Blick nur spekulativ zu beantworten, denn überliefert ist dazu nicht ein einziges Wort. Erst spätere Zeiten stellten den gewaltigen finanziellen Aufwand als möglichen Grund in den Raum, ohne allerdings auch nur Indizien für finanzielle Probleme vorliegen zu haben.
Zum Park erschienen kurz vor 1800 drei Beschreibungen: „Machern – Für Freunde der Natur und Gartenkunst“ von Paul Christian Gottlob Andrea im Jahr 1796, dann eine anonyme „Spazierfahrt nach Machern“ im Jahr 1798, und zuletzt die „Beschreibung des Gartens zu Machern“ von Ephraim Wolfgang Glasewald im Jahr 1799. Der „Spazierfahrt“ aus dem Jahr 1798 wollen wir uns näher widmen.
Wer damals von Leipzig nach Machern reiste, musste vorsorgen. Da der anonyme Autor dem Gasthof zu Machern „äußerst schlechte Bedienung und Aufwartung“ attestierte, und den Grafen von Lindenau als „zu bieder“, um das Problem zu lösen, speiste man als Gast doch besser vorher in Borsdorf. In Machern angekommen, stellte sich dem Ausflügler ein neues Problem in den Weg:
„Nur des Sonntags und nicht in den Wochentagen kann der Garten besucht werden. Ohne Begleitung des Gärtners aber darf niemand herum gehen, sondern man muss sich schlechterdings bei dem Gärtner melden. Dies ist ausdrücklicher Befehl des Grafen und auch gleich am Eingange angeschlagen.“
Weder Andrea noch Glasewald erwähnten in ihren Parkbeschreibungen dieses wichtige Detail. Allerdings begannen beide ihre Wanderung durch den Landschaftsgarten auch am Schloss und nicht vor dem – Küchengarten. An dessen Eingang (nicht aber am Parkeingang) mag der anonyme Autor tatsächlich ein Verbotsschild erblickt haben, was ihn aber nicht an der Durchquerung des Küchengartens hinderte, bevor er dann die gotische Brücke erreichte und dort – und eben nicht am Schloss – seinen Parkrundgang begann.
Der zwei Jahre zuvor erschienenen Parkbeschreibung von Andrea wirft der anonyme Autor „Vergehungen gegen den guten Geschmack, den gesunden Menschenverstand und die liebe Grammatik" vor, und möchte es natürlich besser machen. So richtig erbaulich findet er den Landschaftsgarten aber offensichtlich nicht. In nette Worte gekleidet, unterstellt er dem „bei weitem größten Teil“ der Besucher des Gartens, dass sie nur wegen der Ritterburg hierher kommen, deren Besichtigung – so der anonyme Autor – nur „mit besonderer Erlaubnis der gräflichen Herrschaft“ möglich war. Diejenigen Gäste, die nicht in die Ritterburg kommen, „bereuen ... die Spazierfahrt, laufen hin und her, klagen über den großen Umfang des Gartens, dass man sich müde Füße hole, wenn man das übrige Merkwürdige sehen wolle, und bedauern endlich die Kosten, welche ihnen die Spazierfahrt nach Machern verursachte.“
Um Kosten geht es dem anonymen Autor auch bei den Statuen der Gottheiten im Park. An Stelle der Gottheiten würde er gern Denkmäler der verdienstvollsten Männer der Nation sehen, und beklagt die Verschwendung von großen Summen eben für diese Statuen. An der Klostermauer findet er einen guten Schützen besser als einen faulen Mönch, und kommt dann zum Käuzchenbad, damals ein gemauertes Wasserbecken mit Stufen. Am Käuzchenbad weiß er zu berichten, dass das Bad seinen Namen von Gräfin Henriette selbst haben soll, welche damit ein Lieblingswort des Grafen, womit er sie im Scherz zu benennen pflegte, versinnlichen und ehren wollte. Genau dieser Ort erinnert den anonymen Autor an den vom liebenden Damon beobachteten Badeort der Musidore, er erzählt lang und breit die ganze Geschichte – und lässt Musidore mit schwellender Brust und gelöstem jungfräulichen Gürtel im Käuzchenbad nackt baden.
Ganz am Ende der Wanderung fallen dann auch noch einige wenige Worte zum Schloss, in dessen unterem Stockwerk sich damals schon ein gewölbtes Zimmer befand, das im gotischen Geschmack ausgemalt und verziert ist – der heutige Trauraum des Standesamtes, dessen Schönheit die Bilder oben zeigen. Und was schreibt der anonyme Autor dazu? „Eine Beschreibung des Innern des Schlosses gehört nicht hierher, da sich leicht denken lässt und von selbst versteht, dass die innere Verzierung ... seinem Besitzer Ehre bringen ... und Denkmale des menschlichen Fleißes, der deutschen Industrie und Kunst enthalten werde.“
Und das Alles in einem als besonders preiswert angepriesenen Büchlein aus scheinbar berufener Feder mit reihenweise eingestreuten klassischen Zitaten, die eine durchaus nicht geringe Bildung verraten. Ein Park, dessen Gäste fast ausnahmslos wegen der Ritterburg kommen, der aber sonst einer Betrachtung eigentlich gar nicht wert ist und die Gäste nach dessen Besuch die entstandenen Kosten bedauern. Ein Park, in dem verschwenderische Statuen nutzlos herumstehen, den man nur Sonntags und nur vom Gärtner begleitet besuchen darf und in dem Schlossherrin Henriette wie Musidore vielleicht ja doch heimlich nackt in das nach ihr benannte Käuzchenbad steigt. Ein Schloss, dessen biederer Besitzer doch besser den Denkmalen der deutschen Industrie huldigen solle und der nicht einmal in der Lage ist, im Macherner Gasthof für geordnete Verhältnisse zu sorgen.
Vermutlich Gräfin Henriette selbst – ihr Gemahl war beruflich bedingt nur selten vor Ort – hatte nichtsahnend dem anonymen Schreiber dieses Büchleins Einlass in die Ritterburg gewährt, ihm vielleicht auch vom scherzhaften Namen „Käuzchenbad“ erzählt, ihm das Schloss gezeigt und nach dem sehr stimmungsvollen Text des offensichtlich der Familie von Lindenau recht nahe stehenden Paul Christian Gottlob Andrea auf eine weitere schöne Beschreibung von Park und Schloss Machern gehofft, zumal erneut, wie schon zwei Jahre zuvor bei der ersten Parkbeschreibung durch Andrea, „Voß und Compagnie“ in Leipzig Herausgeber des Büchleins sein würden.
Den Begriff „Fake-News“ kannte die Familie von Lindenau damals sicherlich nicht, aber nur vier Jahre nach Erscheinen dieses Büchleins hatte sie Machern nach mehr als 370 Jahren in Familienbesitz als entzaubertes Paradies nicht nur verlassen, sondern bereits verkauft, und kehrte niemals wieder zurück. Die Macht der Worte - und ein nicht einmal untypisches Romantikerschicksal vor 200 Jahren ...
Für die Leser, die sich jetzt traurig zurücklehnen – es ist wohl leider tatsächlich so passiert, alle Zitate sind dem Originaltext des anonymen Autors entnommen. Aber: diese Arbeit des anonymen Autors hat ein Gegenstück, eines, an dem er kein gutes Haar ließ – die Arbeit von Andrea. Dessen Text hatte Gräfin Henriette vor Augen, als sie dem anonymen Autor die Türen öffnete, und dieser Text ist auch mehr als 200 Jahre nach seiner Entstehung immer noch lesenswert ...

Vollendet am 5. Juni 2018, Robert Schmidt